Im
Jahr 2003 und folgenden erschien in mehreren Zeitschriften,
Print-/Online-Magazinen[1]
und diversen TV-Sendern die Nachricht von einer außergewöhnlichen Sehschärfe
unter Wasser, die bei Kindern eines thailändischen Moken-Stammes
(Meeres-Nomaden) beobachtet wurde. Was ist an dieser Meldung so Besonderes, dass
darum so viel Aufhebens gemacht wird?
Artikel in
SPIEGELONLINE vom 1. März 2005. [2],
[3],
[4]
In
http://www.wissenschaft.de/ hieß es
zum Beispiel am 20.5.2003:
Scharf sehen
ohne Taucherbrille
Kinder des auf den
thailändischen Sunim-Inseln lebenden Volks der Moken sehen unter Wasser sehr
viel schärfer als europäische Kinder. Das fand die schwedische Biologin Anna
Gislén heraus, als sie die Sehschärfe von Kindern der Meeres-Nomaden mit der von
sieben- bis vierzehnjährigen europäischen Urlaubern
verglich.
„Die Kinder der Moken
nutzen die Optik des Auges bis an die Grenze des menschlich möglichen“, erklärt
Anna Gislén im Online-Dienst von „Nature“. Sie verkleinern beim
Tauchen ihre Pupillen und stellen ihre Augen auf Nahsicht
…
In „Current Biology“ (siehe Quellennachweis) berichtet Anna
Gislén, die Unterwasser-Sehschärfe der Moken-Kinder sei mehr als doppelt so gut
wie die europäischer Kinder. … Unsere Untersuchungen zeigen, dass die
Moken-Kinder die überragende Sehschärfe durch maximale Pupillenverengung (1,96
mm im Vergleich zu 2,50 mm bei europäischen Kindern) und durch Akkommodation bis
zu 15-16 dpt erzielen.
Da ich erst durch den Artikel
in SPIEGELONLINE vom 1. März 2005 auf diese bemerkenswerte Meldung
aufmerksam wurde, benutze ich den Artikel zunächst einmal als Aufhänger.
Der Autor des
Panorama-Artikels, Maik Brandenburg, wurde auf die Wissenschaftlerin aufmerksam,
die von diesem Phänomen so fasziniert war, dass sie der offensichtlichen
Besonderheit auf den Grund gehen wollte.
„Die Kinder des
thailändischen Seenomadenvolkes Moken haben eine Gabe: Sie können unter Wasser
scharf sehen ...“ so
beginnt der Artikel.
Man könnte darüber »Sehschärfe unter Wasser« einfach hinweggehen. Nicht aber die schwedische Biologin Anna Gislén, die sich Gedanken machte, wie die Kinder wunderschöne winzige Muscheln, die sie beim Tauchen sammeln, unter Wasser überhaupt erkennen können, wo der Mensch unter Wasser – ohne Tauchmaske – doch praktisch zwei Drittel der Brechkraft seiner Augen verliert. Ein menschliches Auge dürfte in unmittelbarem Kontakt mit Wasser zu einer derartigen Sehleistung gar nicht in der Lage sein.
Sind die besonderen
Fähigkeiten der Moken etwa eine Folge der Evolution der Seenomaden durch
jahrtausendelanges Leben am, im und unter Wasser, und ist der Tauchreflex somit
genetisch bedingt?
Anna Gislén und ihr Team,
bestehend aus vier Biologen und einem Ophthalmologen verglichen die Sehschärfe
dieser Moken-Kinder (6) mit der einer Gruppe (28) etwa gleichaltriger, nämlich
sieben- bis vierzehnjährige, europäische Urlauberkinder.
An
Land wiesen alle Kinder eine ähnliche Sehschärfe auf, unter Wasser (ohne
Taucherbrille!) konnten die Moken-Kinder jedoch zweimal schärfer sehen als ihre
europäischen Altersgenossen. Sie waren fähig, die in einem Prüfabstand von
50 cm dargebotenen Sinusgitter (Abb. 1) mit 6,06 ±0,59 Perioden/Grad
aufzulösen, während die europäischen Kinder nur 2,95 ±0,13 Perioden/Grad
schafften.
Die
Durchführung der Experimente ist in Current Biology beschrieben: siehe
Anhang.
Abb. 1: Sinusgitter mit
horizontaler und vertikaler Ausrichtung (unterschiedliche
Ortsfrequenz!) zur Prüfung der Kontrastempfindlichkeit. Derartige Gitter
(100% Kontrast) dienten Gislén’s Team zur Messung der
Sehschärfe unter Wasser.
Man
suchte nach Erklärungen wie z.B. flachere Hornhaut-Krümmung plus stärkere
Linsenbrechkraft, was sowohl für gute Sicht an Land wie auch unter Wasser
gesprochen hätte, man suchte nach signifikanten Differenzen im Refraktionsstatus
(die Moken-Kinder waren durchschnittlich zwei Dioptrien übersichtig) oder des
Akkommodationsvermögens, und man untersuchte die Pupillengröße (Moken-Kinder
2,33 ±0,06 mm, europäische Kinder
2,30 ±0,04 mm). Es gab an Land
praktisch keine Unterschiede zu der europäischen Vergleichsgruppe! „Die Augen
der Moken sind wie die eines jeden Menschen auf der Welt“, stellte Gislén
fest.
Allerdings fand Gislén
heraus, dass unter Wasser die
Pupillen der Moken-Kinder sich deutlich mehr verengten, nämlich auf 1,96
± 0,05 mm, während die der
europäischen Kinder sich nur auf 2,50 ± 0,05 mm verengten. Lag’s
daran? Es ist allerdings höchst unwahrscheinlich, dass bei engeren Pupillen
höhere Sehschärfen zustande kommen als bei weiteren, da mit engeren Pupillen die
Beugung zunimmt[5].
Was einerseits an Akkommodation gekoppelte Pupillenverengung an Schärfe brächte,
würde andererseits durch Beugung an Abbildungsqualität zunichte gemacht,
errechneten die Forscher, es sei denn, die Pupillenverengung ginge mit
verstärkter Akkommodation einher, so dass ein gewisser Überschuss bliebe. Aber
selbst da war man sich sicher, dass die für das Alter üblichen 15-16 Dioptrien
Akkommodationsbreite bei den Moken-Kindern nicht überschritten
werden.
Dies war vorerst der Stand nach Abschluss der Untersuchungen in Thailand, wie sie mir im April 2005 zur Verfügung standen. Auf meine Anfrage nach weiteren Details verwies Anna Gislén damals auf eine noch anstehende Veröffentlichung über die Fortsetzung ihrer Studie in Schweden, der sie nicht vorgreifen könne.
November 2006
Nun traf die Nachricht von
der erfolgten Veröffentlichung ein[6]:
Darin sind die Studien im
Ganzen und ihre Fortsetzung in Schweden dokumentiert.
Meine Gedanken dazu sind
nun folgende:
Steigerung der Sehschärfe
unter Wasser.
Gedanken zu
Untersuchungen der schwedischen Biologin Anna Gislén
an thailändischen und
europäischen Kindern.
Schlüsselwörter: Sehenlernen (development of
vision)
Schwerelosigkeit (microgravity)
Zurück in Schweden setzte
die Gruppe um Anna Gislén ihre Studien an schwedischen Kindern fort. Gislén war
daran gelegen, herauszufinden, ob die besondere Fähigkeit der hohen Sehschärfe
unter Wasser genetisch bedingt ist, oder auf Training dieser „Amphibien“, wie
die Moken-Kinder sich quasi in ihrem ständigen Leben am, im und unter Wasser
darstellen, zurückzuführen ist.
Da
zwischen Moken und Europäern an Land keine auffälligen Unterschiede bezüglich
Sehschärfe und Akkommodation festzustellen waren, lag es nahe zu versuchen, den
vermuteten Trainingseffekt unter
Wasser auch bei schwedischen Kindern der gleichen Altersgruppe
nachzuweisen.
Die Untersuchungen wurden
bei Kindern im Alter von 9-13 Jahren einer Schule in Lund (Schweden)
durchgeführt. Die Kinder waren rechtsichtig und wurden unter gleichen
Bedingungen wie in Thailand sowohl an Land mit Pelli-Robson-Testtafeln auf 3, 6,
9 und 12 Meter als auch unter Wasser mit Sinusgittern waagrechter und
senkrechter Ausrichtung (Abb. 1) auf 50 Zentimeter Distanz (fixiert durch
Kopfstütze) getestet. Während einer Zeit von 33 Tagen wurden 11 Trainingstermine
abgehalten, bei denen an Land und unter Wasser Pupillendurchmesser, Sehschärfe
und Kontrastempfindlichkeit gemessen wurden. Messungen der
Unterwasser-Sehschärfe und der Kontrastempfindlichkeit wurden vier Monate nach
Abschluss des Trainings im Hallenbad (8 cd/m²) und acht Monate später im Freibad
(4500 cd/m²) wiederholt. Genaueres zu den Untersuchungsmethoden ist dem Artikel
in Vision Research zu entnehmen.
Entscheidend für unsere
Betrachtung ist eigentlich mehr das Resultat der Studie:
Bei einigen Kindern konnte
schon während des Trainings von Mal zu Mal eine Steigerung der
Unterwasser-Sehschärfe beobachtet werden. Bei der Nachmessung am Tag 149, also
115 Tage ohne Unterwasser-Training, steigerte sich die Sehschärfe trotz viermonatiger Trainingspause(!)
abermals und war letztlich der der Moken-Kinder gleich. Gefragt, was die Kinder
dazu selbst beitrugen, antworteten sie, sie könnten sich das nicht erklären, es
wäre einfach da gewesen, dass sie viel besser sehen konnten. Einfach
so.
Abbildung 2. Steigerung der
Unterwasser-Sehschärfe während 33 Tagen Trainings und der Nachmessung nach einer
Pause von 115 Tagen. Zu beachten ist die Sehschärfensteigerung zwischen Trainingsende und der Nachmessung. Die Grafik wurde dem Artikel von A. Gislén
(Vision Research 46) entnommen.
Das Resultat der Studie mit
den schwedischen Kindern (Abb. 2) beweist eindeutig, dass die ursprünglich bei
den Moken-Kindern beobachtete außergewöhnliche Unterwasser-Sehschärfe keineswegs
genetisch bedingt ist, sondern zweifelsfrei antrainiert ist. Folglich stellte
sich Anna Gislén’s Team nun die Frage, welche Funktion eigentlich im System Auge
trainiert wird, die schließlich den Erfolg der Sehschärfesteigerung unter Wasser
bewirkt:
„Offenbar lernen die
untersuchten Kinder den optischen Apparat zu kontrollieren. Kann es an der
Pupillenverengung liegen? Hat außergewöhnliche Akkommodation etwas mit dem
Sehschärfenanstieg unter Wasser zu tun? Zwingt die Kopplung von Akkommodation,
Pupillenverengung und Konvergenz nicht zum Schielen, wie es bei einem Kind
während des Versuchs beobachtet wurde? Und müsste dann ein Augenpaar, das unter
Wasser erfolgreich in die Nähe fokussieren kann, diese Funktion(en) entkoppeln
können?“
Viele, viele Fragen!
Die wahrscheinlichste
Erklärung scheint den Forschern die zu sein, dass das Training sowohl die
Pupillenverengung unter Wasser als auch das Maß der Akkommodation und die
Entkoppelung von Akkommodation und Konvergenz fördere. Andere neuronale
Veränderungen visueller Art könnten nur einen Teil der beobachteten Fähigkeiten,
unter Wasser besser sehen zu können, erklären.
Es
fällt auf, dass den Vorgängen im Gehirn erstaunlich wenig Raum geschenkt wurde.
Man sollte doch bei Biologen annehmen dürfen, dass sie das Schwergewicht ihrer
Untersuchungen eher auf physiologische (neuronale) als auf physikalische
Zusammenhänge legen. Es ist nachvollziehbar, dass während des Trainings ein
Anstieg der Kräfte, die die Pupillen verengen oder die Linsenkrümmung bewirken,
erfolgt. Dieser Anstieg müsste aber bei
Beendigung des Trainings gestoppt werden! Wie ist es dann erklärbar, dass
die Sehschärfe nach Ende des Trainings weiter zunimmt und nach fast vier Monaten
Pause noch eine weitere ganz beachtliche Steigerung erfahren kann? Hier müssen
zwangsläufig neuronale Vorgänge im Spiel sein! Das Gehirn hat offenbar während
des Unterwasser-Trainings gelernt, sensorische Funktionen an durch
„Schwerelosigkeit“ veränderte visuelle Empfindungen anzupassen. Anders ist die
Steigerung der Unter-Wasser-Sehschärfe zwischen Tag 33 und Tag 149 nicht
erklärbar (Abb. 2).
Hätten die Forscher beim
Sehen unter Wasser nicht eine Parallele zum Sehen im Weltraum entdecken können,
auf die ich Anna Gislén bei meiner Anfrage (leider erst nach Beendigung der
Studie) aufmerksam machte? In beiden Situationen tritt eine offensichtliche
Steigerung der Sehschärfe auf (bei Gislén zwischen Tag 33 und Tag 149), die mit
Funktionen des optischen Apparates und Gesetzen der physikalischen Optik nicht
zu erklären ist. Sucht man nach Gemeinsamkeiten, kann nicht verborgen
bleiben, dass in beiden Fällen Schwerelosigkeit, bzw. ein Zustand der der
Schwerelosigkeit nahe kommt (microgravity), eine nicht unbedeutende
Rolle spielen könnte!
Der Einfluss der
Pupillenverengung kann nicht so erheblich sein, weil ein erhoffter Gewinn an
Schärfentiefe – wenn er denn wie vermutet durch Pupillenverengung
stattgefunden hätte – sicher durch Beugung wieder zunichte gemacht worden wäre!
Auch eine durch das Training verstärkte Zunahme an Akkommodation ist
bestenfalls nur bis zum Tag 33 des Trainings nachvollziehbar, nicht mehr aber
nach vier Monaten Pause!
So
komme ich nun wieder zurück auf das Sehen im Weltraum. Schon der erste
amerikanische Astronaut im Weltraum, John Glenn (1962), schwärmte nach der
Umrundung der Erde in einer Raumkapsel von der aufregenden Schärfe, mit der er
Objekte auf der Erde erkennen konnte, die er theoretisch aus einer Entfernung
von circa 150 Kilometern gar nicht hätte erkennen dürfen. Der Autor Hoimar von
Ditfurth griff 1976 in seinem Buch „Der Geist fiel nicht vom Himmel“ Glenn’s
merkwürdige Beobachtung auf und brachte sie mit wahrscheinlichen Veränderungen der
Mikrobewegungen der Augen unter dem Einfluss von Schwerelosigkeit in
Verbindung.
So
sehr mich dieser mögliche Zusammenhang auch beschäftigte, ich fand zunächst
nicht einmal eine Bestätigung für Glenn’s Aussage, es sei denn die Tatsache,
dass die Nasa bei nachfolgenden
Missionen Glenn’s Beobachtungen sehr wohl überprüfen ließ. Dies geschah sowohl
mit auf der Erde auf zwei Kontinenten ausgelegten Testobjekten (Abb.3) als auch
durch Sehtestungen mittels speziell für den Raumflug entwickelter Sehtestgeräte,
die extra mit Augenmuscheln ausgestattet waren, damit auch zuverlässig das durch
die Beleuchtungsbedingungen des Gerätes vermeintlich angeregte photopische Sehen
(Tagessehen) ohne jede Beeinflussung durch Fremdlicht getestet werden konnte
(Abb. 4).
Abbildung 3:
Sehtest der Nasa bei der GEMINI 5-Mission zur
Überprüfung der Astronautenangaben zur hohen Sehschärfe beim Blick aus dem
Weltraum auf die Erde. Es wurde die freie Sicht bei „natürlichen“ Bedingungen
geprüft. Die Testfiguren wurden in
Texas bzw. Australien angelegt. Auf dem texanischen Areal zum Beispiel – siehe
Abbildung (das australische war ähnlich) – wurden 12 quadratische Felder mit
einer Ausdehnung von je 2000x2000 Fuß durch Pflügen, Planieren und Rechen zu
uniformen Flächen präpariert und darin weiße Balken mit unterschiedlichen Längen
zwischen 610 bis 152 Fuß in je einer von vier möglichen (vertikal, horizontal
oder diagonal) Orientierungen ausgelegt. Die Aufgabe für die je zwei Astronauten
bestand darin, die Ausrichtung des gerade noch erkennbaren Balkens zu benennen.
Zu den Angaben wurde jeweils die Position der Raumkapsel (siehe Abb. 2
meines Artikels „Der Blick von oben
...“) relativ zum Testobjekt, Beleuchtung, atmosphärische und Sichtbedingungen
registriert. Quelle:
NASA
Experiment
Information JSC Home Page.
Abbildung 4: Astronaut
James Lovell beim Sehtest während des Gemini 7-Fluges; die dicht anliegenden
Augenmuscheln sollen jede Beeinflussung durch Fremdlicht verhindern (der extreme
Gegensatz zu freier Sicht!).
Da
die Sehtestungen mit diesem Gerät keinen signifikanten Unterschied zu irdischen
Messungen ergaben, maß man den Erdbeobachtungen durch andere Astronauten, die
sehr wohl Glenn’s Beobachtung bestätigt hätten, nicht mehr viel Bedeutung bei,
weil im Gegensatz zum Testgerät der mögliche Einfluss von atmosphärischen
Störungen nicht kalkulierbar schien. Von Seiten der Nasa war das Thema Sehschärfe damit
abgehakt. Man vertraute einfach dem vermeintlich kalkulierbaren Testergebnis
(unter den spezifischen Bedingungen) des “In-flight-vision-testers“ mehr als der
unter Freisichtbedingungen festgestellten „unglaublichen“ Sehschärfe Glenn’s
beim Blick aus dem Fenster der Raumkapsel. Den Verantwortlichen war nicht
bewusst, dass mit ihrem Sehtestgerät eigentlich nicht das für Glenn’s Beobachtung
maßgebliche Tagessehen, sondern wegen der dicht anliegenden Augenmuscheln
lediglich das völlig unmaßgebliche Dämmerungssehen – siehe Grafik Abb. 5 –
angeregt wurde.
Abbildung 5: Abhängigkeit
der Sehschärfe vom Adaptationszustand nach
Lythgoe.
Der Adaptationszustand wird
durch die Umfeldleuchtdichte bestimmt. Kurve A Dunkeladaptation, Kurve B
Adaptation auf 0,0003 cd/m², Kurve C Umfeldleuchtdichte = Infeldleuchtdichte,
aus Schober „Das Sehen“. Laut Schober zeigt der Versuch, dass Wechselwirkungen
(Adaptation) in der ganzen Netzhaut auftreten und dass es falsch ist, einen
bestimmten Zapfen oder auch ein bestimmtes Netzhautelement für sich allein zu
betrachten. Im konkreten Fall des Sehtestgerätes bedeutet das, dass
Helladaptation allein im Bereich der Fovea (Lokaladaptation) noch lange kein
Tagessehen anregt, wenn die Peripherie dunkeladaptiert
ist.
Als der deutsche Astronaut
Ulrich Walter das Buch „In 90 Minuten um die Erde“ veröffentlichte, in dem er
die Erlebnisse „seiner“ Space Shuttle-Mission D-2, die vom 26. April bis 6. Mai
1993 stattfand, schildert, erhielt ich endlich neue authentische Informationen
über das Sehen aus einem Raumschiff auf die Erde.
Walter gibt an, aus dem Orbit sei mit bloßem Auge auf der Erdoberfläche alles zu erkennen, was größer ist als 30 Meter! Das war für mich nun eine handfeste Größe, mit der etwas anzufangen ist. Von einem Physiker – der deutsche Astronaut Dr. Ulrich Walter ist ein solcher – kann man Größenangaben, selbst wenn sie schwärmerisch vorgetragen werden, durchaus ernst nehmen. Physiker sind geschult, sich bei Größen (möglichst) exakt auszudrücken.
Er schildert in seinem Buch mehrere visuelle Beobachtungen, die er während seines Raumfluges erlebte. Immer wieder spricht Walter von „ ... der unglaublichen Schärfe, mit der man aus 300 Kilometern Entfernung die vielen Details sehen kann. ... im hellen Licht der Sonne ist jeder größere Straßenzug (Cordoba?) deutlich sichtbar ... viel schärfer als aus einem Flieger in 10 Kilometer Höhe“.
Ich leite daraus die Annahme ab, dass die bei den Mikrobewegungen der Augen – eigentlich
Hoimar von Ditfurth’s Idee, ich setze sie nur in einen anderen, mir zutreffender
erscheinenden Zusammenhang(!) – empfundene unvermeidbar auftretende chromatische
Queraberration als Maßstab für die zu tolerierende chromatische Längsaberration
dienen könne. Wenn nämlich Schwerelosigkeit einen Einfluss auf die
Mikrobewegungen hat (möglicherweise ausgelöst durch den massiv gestörten
Orientierungssinn), dann kann es sich nur um eine Verringerung der Sakkaden
(Ditfurth meinte das Gegenteil) handeln, weil Eingeweihten geläufig ist, dass
größere Sakkaden eines Nystagmus immer mit geringerer Sehschärfe einhergehen.
Geringere Sakkaden verursachen geringere chromatische Queraberration und die
führt zwangsläufig zu sensorisch geringer tolerierbarer Längsaberration, das
heißt zu einem sensorisch verengten Strahlenbündel (Abb. 6). So erkläre ich mir
die unglaubliche Sehschärfe im Weltraum – und ich neige dazu, diesen Vorgang
auch bei „Schwerelosigkeit“ unter Wasser zu vermuten.
Abbildung 6: Der Effekt der
sensorischen Aperturblende beruht auf Kontrolle des Farbenlängsfehlers
O’RO’V in der Foveola nach Maßgabe des bei den
Mikrobewegungen registrierten Farbenquerfehlers G’RG’V
(die Indices R und V stehen für „maßgebliche Kriterien“
der zu empfindenden Dispersion). Die zeichnerische Darstellung des Bildes einer
körperlichen Aperturblende ist symbolisch für die Auswirkung der Fehlerkontrolle
zu verstehen.
Man könnte nun einwenden,
dass auch Anna Gislén der Meinung ist, engere Strahlenbündel (verursacht durch
stärkere Pupillenverengung) seien eine Ursache für die nachgewiesene
Sehschärfenzunahme. Das stimmt natürlich. Nur muss man dabei bedenken, dass
engere Strahlenbündel verursacht durch körperliche Blenden in der nötigen
Größenordnung höchstwahrscheinlich mehr Sehschärfenverlust durch Beugung
verursachen würden als durch Zunahme an Schärfentiefe gewonnen würde. Im
Gegensatz dazu ist ein sensorisch verengtes, also ein von der Retina
selektiertes Bündel - solange es keine körperliche Kante berührt - beugungsfrei
und kann letztlich so eng sein, dass sich die Zunahme an Sehschärfe durch ein
Plus an Schärfentiefe auch rechnerisch in der gemessenen Größenordnung belegen
lässt.
Allerdings gibt es da noch
eine Prüfung zu bestehen: Wenn die Steigerung der
Sehschärfe unter Wasser mit dem Einfluss von Schwerelosigkeit erklärt werden
könnte, müsste eine Steigerung der Sehschärfe nicht nur bei Tauchern ohne
Taucherbrille, sondern grundsätzlich nach entsprechendem Training (das ist
offensichtlich für den Lernprozess nötig) auch bei Tauchern, die mit
Taucherbrille ausgerüstet sind, gegenüber Ungeübten und ebenso bei Experimenten
vor und in einem Aquarium, das heißt beim Blick von außen nach innen unter
Schwere bzw. unter Schwerelosigkeit mit Taucherbrille im Aquarium, nachgewiesen
werden können! Ob eine Verbesserung der Sehschärfe bei Tauchanfängern(!) während
einer Zeit, in der sie lernen, unter Wasser eine bis dato unbekannte Welt zu
beobachten, schon bemerkt und eventuell dokumentiert wurde, entzieht sich meiner
Kenntnis. Beim Training des
Beobachtens wird das Sehenlernen[7],
ein Vorgang, der sich gewöhnlich auf die Prägungsphase des Menschen beschränkt,
mit einer neuen Erfahrung bereichert: „Schwerelosigkeit“ führt zu verringerten
Sakkaden der Mikrobewegungen (eine noch nicht bestätigte Annahme!) und hat weniger chromatische Queraberration
zur Folge. Ein dementsprechend (Abb.6) enger selektiertes zentral
abbildendes Strahlenbündel führt zu besserer Sehschärfe! Diese Selektion wird im
Gehirn als Referenzgröße abgespeichert und kann künftig für jede Situation des
Sehens bei Schwerelosigkeit, also auch solchen, die der Schwerelosigkeit
nur ähnlich sind, als bekannte Vergleichsgröße abgerufen werden.
Mit der Untersuchung der
Auswirkungen von Schwerelosigkeit auf das Sehen eröffnet sich zweifellos ein
Forschungsfeld mit noch vielen Unbekannten! Ist nicht die Schwerelosigkeit ein
Zustand, der in den ersten Lebensjahren eines Menschen, der so genannten
Prägungsphase, den meisten Menschen noch nicht vertraut war, und deshalb seine
Auswirkungen auch nicht als Erfahrungswert abgespeichert werden konnten? Wenn es
sich um eine neue Erfahrung handelt, die sich noch nicht einprägen konnte, ist
das Gehirn offenbar bereit und in der Lage, dies auch nach der vermeintlich auf
die ersten Lebensjahre beschränkten Prägungsphase nachzuholen! Diese Erkenntnis
kann aus Gislén’s Studie, wenn auch nicht konkret ausgedrückt, abgeleitet werden
– und wird letztlich durch das Astronauten-Training unter Wasser offensichtlich
auch für Menschen im fortgeschrittenen Alter bestätigt (siehe
unten).
Sollte sich zeigen, dass
schon die relative Schwerelosigkeit unter Wasser wenigstens einen Teil des
Forschungs-Spektrums abdecken kann, könnte man sich zweifellos viele noch
aufwändigere Untersuchungen dazu im Weltraum ersparen.
Warum die erhöhte
Sehschärfe der Astronauten spontan beobachtet wurde, während die
Sehschärfenzunahme unter Wasser bei Tauchanfänger erst des Trainings bedarf,
lässt sich damit erklären, dass Astronauten vor ihrem Einsatz im Weltraum bei
Parabelflügen (22 Sekunden lang „Zero-G“!) und Unterwasser-Training schon
intensiv auf den Zustand der Schwerelosigkeit vorbereitet wurden. Astronauten
sind also hinsichtlich der im Gehirn dauerhaft abgespeicherten Referenzgröße der
chromatischen Queraberration beim Sehen unter Schwerelosigkeit einem
Tauchanfänger diesen entscheidenden Schritt des Sehenlernens voraus.
Ich sehe im Ergebnis der Studie von Anna Gislén eine deutliche Parallele zum Sehen unter Schwerelosigkeit im Weltraum. Meine 1998 veröffentlichte Theorie erfährt damit offensichtlich eine Bestätigung: Wenn Schwerelosigkeit zu einer Erhöhung der Sehschärfe führt, wird deren Ursache bei verminderten Mikrobewegungen der Augen liegen. Das ist natürlich zunächst eine Behauptung, die noch nicht mit wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen wurde, aber auch nicht einer gebotenen Wahrscheinlichkeit und Logik entbehrt!
Deshalb nochmals die Theorie im Telegrammstil:
1. Schwerelosigkeit vermindert die Mikrobewegungen der Augen.
2. Im Tagessehen beruht eine sensorische Selektion (Limitierung) der zur Information des Gehirns über zentrale Abbildung tauglichen Öffnungsstrahlen des zentral abbildenden Strahlenbündels auf Kriterien der chromatischen Aberration (vergleiche Stiles-Crawford-Effekt im weißen Licht!).
3. Verminderte chromatische Queraberration des bei den Mikrobewegungen ausgelenkten Hauptstrahls (Abb. 6) hat eine sensorische Einschränkung des real genutzten zentral abbildenden Strahlenbündels zur Folge (Angleichung der chromatischen Längsaberration an die empfundene unvermeidbare chromatische Queraberration). Engeres Strahlenbündel steigert Abbildungsqualität und Sehschärfe – nicht nur im Weltraum, sondern auch unter Wasser!
Herr Dr. Wesemann konterte meine Theorie mit der Artikelserie „Die Grenzen der Sehschärfe“ (siehe Anhang). Wesemann spricht darin von „Märchen“ und argumentiert mit Einflüssen von Pupillengröße und Beugung, mit Aussagen zum Einfluss von Aperturblende und der Heisenbergschen Unschärferelation. In der Instrumentenoptik sind all diese Einflüsse und Beziehungen natürlich nachvollziehbar, im Sehen aber nicht und nirgends zu bestätigen. Da die Begrenzung (Limitierung) des zentral abbildenden Strahlenbündels ohne körperliche Aperturblende erfolgt und sich rein sensorisch auf retinaler Ebene vollzieht, greifen Dr. Wesemanns Argumente bezüglich System Auge einfach nicht, haben also für die Optologie, die Lehre vom Sehen, keine Relevanz!
Anna Gislén ist mit der Feststellung erhöhter Sehschärfe unter Wasser (Tag 149!) – also im Zustand relativer Schwerelosigkeit – ebenso wenig eine „Märchenerzählerin“ wie die Berichte der Astronauten vom Sehen im Weltraum einem Märchenbuch entnommen wurden. Das zu bemerken, sei mir bitte erlaubt. Oder ist Herr Dr. Wesemann da wieder bzw. immer noch anderer Meinung?
Wie gesagt, dieser von mir
dargestellte Zusammenhang ist erst eine Annahme. Aber es spricht viel dafür,
dass meine Hypothese nahe an der Echtheit liegen wird!
Hans W. Riedl, Hersbruck
Anhang
(Referenzen)
Anna Gislén’s Studien wurden
veröffentlicht:
Current Biology, Volume 13, Issue 10, 13. May 2003, Pages
833-836
Anna
Gislén, Marie Dacke, Ronald H. H. Kröger, Maths Abramsson, Dan-Eric Nilsson and
Eric J. Warrant:
Superior Underwater Vision in a Human
Population of Sea Gypsies
Vision
Research 46
(2006) 3443-3450
Anna
Gislén, Eric J. Warrant, Marie Dacke, Ronald H.H. Kröger:
Visual
training improves underwater vision in children.
Berichte
über Anna Gislén’s Arbeit sind zu finden:
http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,343596,00.html
www.innovations-report.de/html/berichte/
biowissenschaften_chemie/bericht-18492.html
www.zeit.de/2003/22/N-Taucherkinder
www.wissenschaft.de/sixcms/detail.php?id=213931
www.mare.de/mare/hefte/beitrag-aufm.
php?seite=3&id=890&heftnummer=48
www.vistaverde.de/news/Wissenschaft/0305/14_moken.htm
Kleine Auswahl an Veröffentlichungen von W. Wesemann
unter anderem zu den „Grenzen der Sehschärfe“
Teil 1: Das Märchen von der fantastischen Sehschärfe der Astronauten im Weltraum.
Teil 2: Einfluss von Pupillengröße und Beugung.
Teil 3: Einfluss von Aperturblende und Heisenbergscher Unschärferelation.
http://www.hfak.de/dozenten/Wesemann2.htm
[1]Current
Biology, Volume 13, Issue 10, 13. May
2003, Pages 833-836
Anna Gislén, Marie Dacke,
Ronald H. H. Kröger, Maths Abramsson, Dan-Eric Nilsson and Eric J. Warrant:
Weitere Veröffentlichungen sind zu finden:
www.spiegel.de/panorama/0,1518,343596,00.html
www.innovations-report.de/html/berichte/ biowissenschaften_chemie/bericht-18492.html
www.zeit.de/2003/22/N-Taucherkinder
www.wissenschaft.de/sixcms/detail.php?id=213931
www.mare.de/mare/hefte/beitrag-aufm. php?seite=3&id=890&heftnummer=48 www.vistaverde.de/news/Wissenschaft/0305/14_moken.htm
[2] Der SpiegelOnline-Artikel mit Unterwasser-Fotos, die Gisléns Report illustrieren, ist auf der Webseite http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,343596,00.html zu finden.
[3] Mit freundlicher Genehmigung von Maik Brandenburg wurden einige Textpassagen aus dem SpiegelOnline-Artikel übernommen.
[4] Messergebnisse wurden teilweise dem im Anhang genannten Report in „Current Biology“ entnommen.
[5] Anmerkung Riedl: ... es sei denn, die Verengung des Strahlenbündels geschehe sensorisch!
Siehe
Theorie.
[6] Vision Research
46 (2006)
3443-3450
Anna Gislén, Eric
J. Warrant, Marie Dacke, Ronald H.H. Kröger:
Visual training improves underwater vision in children.