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Stiles-Crawford-Effekt 1.Art

 

Untersuchungen von J.M.Enoch (1958) und N.D.Miller (1964)

 


 

Hans W. Riedl, Staatl. gepr. Augenoptiker, WVAO

 

Oktober 1995

 


 

Vorwort

 

Im Jahr 1932 experimentierten W.S.Stiles und B.H.Crawford [1] mit Messungen zur Pupillenlichtstärke. Dabei entdeckten sie, dass enge Objektlichtbündel je nach Einfallsort in die Eintrittspupille (EP) unterschiedliche Helligkeitsempfindung in der Foveola produzieren. Fixierstrahlen, die durch periphere Orte der EP eintreten, erzeugen eine geringere retinale Helligkeitsempfindung als solche, die nahe dem EP-Zentrum einfallen (Abb. 1).

 

 

 

Abbildung 1: Effizienzkurven im weißen Licht der Versuchsperson W.S.S. nach Angaben aus [1]. Die Differenz zwischen Originalmessung und Nachmessung nach sechs Wochen dürfte auf unregelmäßige Pupillenerweiterung zurückzuführen sein, wird von Stiles später [3] aber als Verlagerung des Orientierungszentrums seiner Photorezeptoren angesehen.

Die bei der Originalmessung relativ zur Mitte der Eintrittspupille (EP) mehr oder weniger dezentrierte Lage des Empfindungsmaximums gilt als typisch für die dem SCE (1933) zugrunde liegenden Experimente von Stiles und Crawford [1].

 

Berechnungen, wonach der Empfindungsverlust peripherer Lichtbündel sich etwa mit stärkerer Absorption in den Randzonen der optischen Medien des Auges oder Reflexionsverlusten an den Grenzflächen derselben erklären ließe, konnten nicht annähernd den gemessenen Empfindungsverlust bestätigen. Die Entdecker schlossen deshalb, der Effekt müsse retinale Ursachen haben und mit dem Einfallswinkel auf die Netzhaut zusammenhängen.

 

Da die Experimente damals ausschließlich mit weißem Licht gemacht wurden, war nicht ganz von der Hand zu weisen, dass möglicherweise mit zunehmend peripherem Einfall in die Pupille chromatische Aberration (CA) des Auges Randstrahlen des abbildenden Lichtbündels Farben annehmen lässt, die mit zunehmend geneigtem Einfall auf die Retina immer dunkler empfunden werden. Stiles untersuchte deshalb in einer späteren Arbeit [2] das gesamte Spektrum mit monochromem Licht systematisch auf Unterschiede zwischen zentral und peripher einfallenden engen Lichtbündeln. Er stellte, nicht unerwartet, bezüglich des Empfindungsverlustes peripher einfallender monochromer Lichtbündel keine auffälligen Unterschiede zu weißem Licht fest.

 

Der Unterzeichner vermerkt, dass mit der fragwürdigen Folgerung, monochromes Licht könne dann weißes Licht bei der Untersuchung des Effektes (SCE) ersetzen, der Einstieg in eine bedenkliche Entfremdung vom natürlichen Sehen vollzogen wurde!

 Stiles bestätigt bei diesen Untersuchungen jedoch eine merkwürdige Beobachtung, die vor ihm schon Wright und Nelson (1936) machten. Mit wechselndem Eintrittsort ändert sich in Teilen des Spektrums für monochromes Licht nicht nur die Helligkeitsempfindung, sondern auch die Farbtonempfindung. Offensichtlich beschäftigt dieser „neue“ Effekt, der später SCE 2.Art genannt wird, seine Aufmerksamkeit mehr als die bloße Feststellung, dass sich ebenso die Position des Empfindungsmaximums für monochromes Licht in verschiedenen Frequenzbereichen deutlich von der des weißen Lichtes unterscheidet (Tab.1).

 

Dezentration dm des Empfindungsmaximums P

bei verschiedenen

Wellenlängen l

 

(+) temporal

(-) nasal

Messwerte linkes Auge

des Probanden W.S.S.

 

Auszug aus

W.S.Stiles (1937)

Tabelle I, Seite 100

Wellen-

länge

l [nm]

Dezentration

d [mm]

440

+0,49

460

+0,65

480

+0,69

500

+0,68

520

+0,35

540

+0,28

560

+0,50

580

+0,57

600

+0,57

620

+0,58

660

+0,59

720

+0,59

 

Tabelle 1: Dezentration des Empfindungsmaximums relativ zur Mitte der Eintrittspupille (Proband W.S.S.) bei verschiedenen Wellenlängen.

 

Stiles registrierte wohl Veränderungen in der Lage des Empfindungsmaximums, ordnete diese aber pauschal veränderter Ausrichtung (Richtungsempfindlichkeit!) von Photorezeptoren zu. Soweit er die Messungen mit weißem Licht an seinem eigenen Auge (L) verfolgte (Tab.2), sah er in der nun temporalen Position des Empfindungsmaximums bei monochromem Licht ein Fortschreiten der schon früher (1932) einsetzenden temporalen Verlagerung des Orientierungszentrums seiner Photorezeptoren [3].  Bei einer  Nachmessung  nach sechs Wochen mit weißem Licht wurde damals eine geringfügige relativ temporale Verlagerung des Empfindungsmaximums beobachtet (Abb.1).

 

Horizontale Position des Eintrittsortes in die Eintrittspupille für das Fixierstrahlenbündel, das die stärkste Helligkeitsempfindung bewirkt.

Proband

L = linkes Auge

R = rechtes Auge

Datum der

Messung

Methode

dm [mm]

(-) nasal

(+) temporal

Licht

W.S.S. (L)

1932     [1]

Vergl.

-0,2

weiß

W.S.S. (L)

1932*   [1]

Vergl.

±0,0

weiß

W.S.S. (L)

1936    [2]

Vergl.

+0,6

500 nm

W.S.S. (L)

1937-8 [3]

Vergl.

+0,9

430 nm

W.S.S. (L)

1937-8 [1]

l.b.i.

+0,9

430 nm

B.H.C. (L)

1932    [1]

Vergl.

-0,5

Weiß

B.H.C. (R)

1932    [1]

Vergl.

-0,5

Weiß

B.H.C. (L)

1937    [4]

l.b.i.

-0,5

Weiß

*sechs Wochen später

l.b.i. Schwellenmessung

Bezugnahme: [1] Stiles und Crawford (1933)

                         [2] Stiles (1937)

                         [3] Stiles (1939)

                         [4] Crawford (1937)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Tabelle 2: Relative Position des Empfindungsmaximums für weißes Licht und monochromes Licht auf der horizontalen Traverse durch die Eintrittspupille (diverse Fälle). Auszug aus [3] Tabelle I, Seite 77, erweitert durch Ergänzungen (Licht) aus Text [3].

 

Seit der Entdeckung des Stiles-Crawford-Effektes 1.Art (SCE) befassten sich in den folgenden Jahren noch viele Wissenschaftler mit diesem Phänomen. Ihre Untersuchungsmethoden variierten nicht nur in der Art des verwendeten Lichtes, sondern auch in Form und Ausdehnung von Mess- und Vergleichstrahlenbündel. Besonders letztere, so genannte additive Effizienzmessungen, die das von den Lichtbündeln durchsetzte Areal der Eintrittspupille in Form und Größe ausweiten (Stiles/Crawford, Bocchino-1936, Toraldo diFrancia-1947), führten schließlich zu einer gewissen Irritation, weil ihre Resultate sich nicht selten widersprachen.

 

Folgt man in der Literatur dem weiteren Verlauf der Erforschung des Stiles-Crawford-Effektes, so stößt man im Jahr 1958 auf J.M.Enoch und seine Veröffentlichung „Summated Response of the Retina to Light Entering at Different Parts of the Pupil“ [4]. Eine umfassende systematische Überprüfung verschiedenster Vorgehensweisen bei der Untersuchung des SCE sollte Ursachen und Hintergründe widersprüchlicher Aussagen minuziös aufklären. Sinngemäß lautete die selbst gestellte Aufgabe, herauszufinden, ob in Größe, Form und Lage des durchsetzten Areals der Eintrittspupille die einzige Variable des Effektes liegt, oder ob noch andere eine maßgebliche Rolle spielen. Eine Arbeit, von der nach Ziel, Art und Umfang des wissenschaftlichen Konzeptes wegweisende Maßgaben für künftige SCE-Untersuchungen zu erwarten sein müssten.

 

Enochs Untersuchungen.

 

Enoch führt eine Vielzahl von Experimenten durch. Um nur die wesentlichsten zu erwähnen: Enoch untersucht, ob Unterschiede zwischen Maxwellscher und Nicht-Maxwellscher Beleuchtung (Fokussierung der Lichtbündel auf die Ebene der Eintrittspupille bzw. auf den Fundus) bestehen, und führt alle Untersuchungen sowohl mit weißem als auch mit monochromem Licht durch. Dann stellt Enoch der traditionellen Untersuchungsmethode mit gleich engen Strahlenbündeln für Messung und Vergleich (Abb.2 rechts) wie sie Stiles und Crawford bei ihrer ursprünglichen Arbeit einsetzten, eine Reihe von Varianten additiver Experimente (Abb.2 links) gegenüber.

 

 

Abbildung 2: Unterschied zwischen additiver Effizienzmessung und Messung nach der Methode Stiles & Crawford. Mittels eines projizierten Ringes (monitoring annulus) wird die Zentrierung der Strahlenbündel überprüft.

Links: Additive Experimente vergleichen die foveoläre Helligkeitsempfindung eines engen, zum Empfindungsmaximum zentrierten Strahlenbündels mit der eines ausgedehnten Strahlenbündels gleicher Zentrierung.

Rechts: Experimente nach der Methode Stiles & Crawford vergleichen die foveoläre Helligkeitsempfindung eines engen, zur Mitte der EP zentrierten Strahlenbündels mit der eines gleich engen ausgelenkten Strahlenbündels.

 

Abbildung 3 zeigt die bei allen Experimenten vom Probanden wahrgenommene Abbildung der Testteile bei zentrierter und bei nicht zentrierter Darbietung. Bei den additiven Experimenten stellt Enoch die foveoläre Helligkeitsempfindung eines zum SC-Empfindungsmaximum zentrierten ausgedehnten Strahlenbündels, das verschiedene Querschnittsformen und –maße haben kann, der eines gleich zentrierten engen Vergleichstrahlenbündels gegenüber.

 

 

Abbildung 3: Subjektive Wahrnehmung der Vergleichsfelder A1(A2) bzw. A4(A3) (Testteile) bei zentrierter und nichtzentrierter Darbietung; aus [4].

 

Die Aussagefähigkeit dieser Experimente untersucht er besonders eingehend, weil andere Autoren gerade dazu widersprüchlichste Angaben machten und diese ihn maßgeblich zu seinen Studien motivierten.

 

Es würde den Rahmen einer Stellungnahme sprengen, wenn alle diese Experimente genannt werden sollten. So wird hier nur auf diejenigen eingegangen, aus denen Enoch entweder bemerkenswerte Schlüsse zieht, oder solche, deren Resultate zwar auf den ersten Blick enttäuschen, letztlich aber gerade deswegen die Ursache der scheinbaren Verwirrung offen legen.

 

1. Stiles-Crawford-Experimente

 

Im Rahmen der Experimente, bei denen das ausgelenkte und das Vergleichstrahlenbündel gleich eng sind, führt Enoch vergleichende Messungen mit weißem und monochromem Licht sowohl bei Maxwellscher Beleuchtung als auch bei Nicht-Maxwellscher Beleuchtung durch (Abb.4, 5, 6).

 

 

Abbildung 4, 5, 6: Effizienzkurven auf der horizontalen Traverse durch den Mittelpunkt der EP verschiedener Versuchspersonen (B.W., R.V. und A.M.).

Das Effizienzmaximum des ausgelenkten Strahlenbündels ist jeweils zur Mitte der EP zentriert (r = 0). Das ausgelenkte Strahlenbündel wurde wahlweise auf die Ebene der EP oder den Fundus fokussiert und war entweder weiß oder monochrom (552nm).

Typisch für Enochs Untersuchungen, die er “Methode Stiles/Crawford“ nennt, ist der Effizienzabfall relativ zum Empfindungsmaximum.

 

Die Dezentration r des auszulenkenden Strahlenbündels misst Enoch jedoch im Gegensatz zu Stiles und Crawford nicht relativ zur Mitte der EP, sondern relativ zum Empfindungsmaximum (!) auf der horizontalen Traverse durch den geometrischen Mittelpunkt der Eintrittspupille. Durch die Besonderheit der Zentrierung machen die Empfindungskurven eine völlig ungewohnte Aussage: Enoch macht deutlich, dass er sich einzig und allein auf den Effizienzabfall bei peripherem Eintritt, nicht aber für die relativen Positionen der Kurven interessiert!

 

In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass Enoch nur beiläufig erwähnt, dass das Empfindungsmaximum – keine Angaben, ob für weißes oder monochromes Licht! – bei B.W. und R.V. ungefähr 0,5mm nasal und bei A.M. ungefähr 0,5mm temporal von der Mitte der EP liegt. Derartige Differenzen betrachtet Enoch als bedeutungslos, weil einer Abweichung von 1mm in der Ebene der EP lediglich eine Divergenz von 2,5° in der Ausrichtung der Rezeptoren entspreche. „Das wäre angesichts von Millionen von Rezeptoren, die ja nur zehntel von Mikron lang seien, weniger ein Zufall, sondern eher ein Zeugnis hoher Präzision. Erstaunlich ist deshalb nicht die Tatsache, dass Unstimmigkeiten existieren, sondern vielmehr das Faktum, dass diese sich in so geringen Grenzen halten“. So Enoch in „An analysis of retinal receptor orientation“ [5]. Deutlicherer Worte bedarf es nicht, um augenfällig zu machen, für wie nebensächlich Enoch die Lage des SCE-Maximums bewertet!

 

Unter solchen Voraussetzungen nimmt es nicht wunder, dass die Kurvenformen alle relativ ähnlich aussehen. Wenn auch die Streuung mancher Messungen manchmal schon bedenklich aussieht, folgert Enoch trotzdem, zwischen Maxwellscher und Nicht-Maxwellscher Beleuchtung sei ebenso wie zwischen weißem und monochromem Licht kein Unterschied von Bedeutung zu machen. Während die Aussage bezüglich Maxwellscher und Nicht-Maxwellsche Beleuchtung mathematisch belegbar ist [6], kann Enoch jedoch nicht folgern, dass es zwischen weißem und monochromem Licht keine Unterschiede gebe, denn auffällige Verschiedenheiten bei den foveolären Antworten auf die unterschiedlichen Lichtreize, nämlich verschiedene Positionen der Empfindungsmaxima werden von ihm ja ganz bewusst verdrängt!

 

Daran wird deutlich, dass Enoch nicht nur unterschiedliche Positionen der Empfindungsmaxima für weißes und monochromes Licht nicht zur Kenntnis nimmt, sondern auch individuelle Unterschiede bei den einzelnen Probanden missachtet. Er beraubt somit die Effizienzkurven einer entscheidenden Aussage!

 

Weil mit dem Empfindungsmaximum auf der horizontalen Traverse nicht zwingend auch das absolute Empfindungsmaximum angesprochen wird, schleichen sich in seine Messungen nun Fehler ein, die Enoch eigentlich aufdecken wollte.

 

2. Additive Experimente

 

Da Enoch gerade bei additiven Verfahren die widersprüchlichen Aussagen früherer Autoren irritierten und er deren Ursache untersuchen will, nehmen diese Experimente besonders breiten Raum ein. Additive Verfahren vergleichen die foveoläre Effizienz eines engen Vergleichstrahlenbündels, das zum SC-Maximum zentriert ist, mit der foveolären Effizienz eines verschieden ausgedehnten Strahlenbündels gleicher Zentrierung aber variierender Querschnittsform (Ring- oder Kreisfläche). Enoch spricht bei der Zentrierung der Strahlenbündel vom SCE-Maximum, das er bei seinen Experimenten auf der horizontalen Traverse durch den Mittelpunkt der EP findet.

 

Bezeichnend ist, dass Enoch also nicht zum absoluten SCE-Empfindungsmaximum zentriert, sondern zum Empfindungsmaximum auf der horizontalen Traverse durch den geometrischen Mittelpunkt der EP. Laut Stiles’ Tabelle I in [3] wurde bei seinen vier Versuchspersonen das Empfindungsmaximum in der vertikalen Traverse zwischen +0,5mm (höher) und –0,6mm (tiefer) gemessen, niemals aber in Höhe der horizontalen Traverse! Und Applegate berichtete 1993 in Monterey [7] von der größten Anzahl (127) je vertikal vermessener Augen, die Empfindungsmaxima hätten eine durchschnittliche Höhenabweichung von +0,2mm ±0,66(!) gehabt. Es ist natürlich zu vermuten, dass Enochs Versuchspersonen auch keine Ausnahme machten und ebenfalls mehr oder weniger große vertikale Abweichungen aufzuweisen hatten.

 

Enoch hat also mit größter Wahrscheinlichkeit Mess- und Vergleichstrahlenbündel nicht zum absoluten Empfindungsmaximum zentriert und deswegen zwei unbekannte Größen miteinander verglichen. Unbekannte Größen deshalb, weil ein nicht exakt zum Empfindungsmaximum zentriertes Vergleichstrahlenbündel ja bereits mit Effizienzverlust behaftet ist und somit nicht mehr als Maßstab bekannter Größe kalkulierbar ist. Die Abbildungen 7 und 8 zeigen den Input in Troland (gerade Linie)

 

 

Abbildungen 7 und 8: Daten der Versuchspersonen R.V./A.M bzw. B.W. für additive Experimente. Die geraden Linien zeigen den Input in Troland, die gebogenen Linien die durch Berechnung auf Basis des Stiles-Crawford-Effektes dafür vorhergesagte foveoläre Effizienz. Vergleich zwischen weißem und monochromem Licht, aus [4].

 

und die durch Berechnung auf Basis des Stiles-Crawford-Effektes dafür vorhergesagte foveoläre Effizienz (gebogene Linie). Bei R.V. und A.M. weichen die tatsächlichen Messwerte sowohl für weißes als auch für monochromes Licht erheblich von den berechneten Vorhersagen ab. Lediglich bei B.W. (Abb.8) sind die Messungen für weißes Licht mit den erwarteten Werten nach Stiles & Crawford einigermaßen in Einklang zu bringen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass im Falle von R.V. und A.M. das absolute Empfindungsmaximum sowohl für weißes als auch monochromes Licht deutlich verfehlt wurde, während bei B.W. das absolute Maximum für weißes Licht wohl annähernd auf der horizontalen Traverse liegen musste.

 

Anmerkung des Verfassers: Trotz teilweise recht ungenauer Zentrierung ist Enochs Untersuchungen zu entnehmen, dass additive Experimente bei korrekter Durchführung (Zentrierung zum absoluten Empfindungsmaximum) sehr wohl bestätigen, dass periphere Zonen der Pupille erheblich weniger zur Bildhelligkeit beitragen als zentrale. Damit dürften anderslautende Behauptungen, wonach periphere Zonen der Pupille trotz geringerer Gewichtung durch den SCE mehr zur Helligkeitsinformation beitragen sollen als zentrale, überzeugend widerlegt sein.

 

Irrtum mit Folgen ...

 

War für Stiles und Crawford noch ein gewisses Verständnis aufzubringen, dass sie den von ihnen entdeckten Effekt im weißen Licht nicht anders als mit Richtungsempfindlichkeit der Photorezeptoren erklären konnten, so hätten Stiles bei den gemessenen Differenzen in der Position des Empfindungsmaximums – einerseits zwischen weißem und monochromem Licht und andererseits zwischen verschiedenen Wellenlängen monochromen Lichtes – bereits erhebliche Zweifel an der generellen Deutung des Effektes als Richtungsempfindlichkeit kommen müssen. Weil jedoch Enoch sich ausdrücklich vornahm, die „Variablen“ zu suchen, die den Effekt beeinflussen, berührt seine Art die relative Lage von Empfindungsmaxima zu behandeln („unbedeutend“!) geradezu peinlich. Sich dann noch zu der Aussage zu versteigen, weißes und monochromes Licht machten keinen Unterschied von Bedeutung, hat der SCE-Forschung bestimmt keine förderlichen Impulse gegeben, sondern eher zu anhaltender Stagnation und Rückfall in Verunsicherung geführt. Die Forschung hat sich in der Folgezeit auf Photorezeptoroptik (Richtungsempfindlichkeit), die man der Hohlleitereigenschaft der Photorezeptoren zuschreibt, konzentriert und foveoläre Selektion, die im photopischen Sehen für weißes Licht (SCE 1.Art) nach vollkommen anderem Muster erfolgen muss, völlig außer Acht gelassen!

 

Die Tatsache, dass bei Enochs additiven Experimenten nur ein Mal die errechneten Werte einigermaßen bestätigt wurden, zeigt, welche Verwirrung entstehen kann, wenn das Empfindungsmaximum nicht gebührend beachtet wird.

 

Norma D. Miller widerlegt Enoch

 

Umso bemerkenswerter ist, dass 1964 Norma D. Miller Messungen zu ihrer Arbeit „Changes in Stiles-Crawford Effect with High Luminance Adapting Fields“ [8] gemischt mit weißem Licht durchführt. Sie bezieht nämlich die Dezentration des auszulenkenden monochromen engen Fixierstrahlenbündels auf das Hornhautreflexbild des weißen, foveal dargebotenen Adaptationsfeldes, dessen zu fixierende Mitte durch ein Fadenkreuz markiert ist (Abb.9). Indem sie für die Empfindungskurve des monochromen Teststimulus eine nicht unerhebliche Dezentration misst (Abb.10), widerspricht sie offensichtlich der Aussage Enochs, weißes und monochromes Licht machten für SCE-Messungen keinen Unterschied von Bedeutung.

 

 

Abbildung 9: Versuchsaufbau von Norma D. Miller, aus [8].

Die Einrichtung wäre sogar geeignet, auch Messungen im weißen Licht durchzuführen. An Stelle des Prismas O (ophthalmic prism) müsste lediglich ein achromatisiertes Prisma eingesetzt werden (Anmerkung des Verfassers).

 

 

Abbildung 10: Empfindungskurve von Norma D. Millers Versuchsperson E.P., Teststimulus 45¢ l 552nm gegen weißes Adaptationsfeld 8° von 10.000 Troland, nach [8].

 

 

Millers Experiment ist nachvollziehbar: Der Proband fixiert das Fadenkreuz im weißen Adaptationsfeld, muss also Objekt (Fadenkreuz), Empfindungsmaximum für weißes Licht und virtuelle Foveolamitte (objektseitiges Bild) auf eine Visierlinie (bildlich: Kimme, Korn und Ziel) bringen! Aus Abbildung 9 ist ersichtlich, dass die Achse des weißen Strahlenganges L1 sowohl von der Achse des Monochrom-Strahlenganges L2/F2 als auch der des telescopes überlagert wird. Mittels einer Messskala im telescope kontrolliert der Untersucher sowohl die Fixation des Probanden (Hornhautreflexbild am Nullpunkt) als auch die Auslenkung des Teststimulus relativ zu Achse und Hornhautreflexbild.

 

Millers Hornhautreflexbild

 

Die Tatsache, dass das Hornhautreflexbild auf der gleichen Achse entsteht, auf der auch Objektpunkt, Empfindungsmaximum für weißes Licht und objektseitiges Bild der Foveola (Bildort) liegen, beweist nicht nur, dass diese Achse mit der realen Visierlinie identisch ist, sondern auch dass diese auf der Hornhautvorderfläche senkrecht steht. Einzig und allein deshalb ist das korrekt erzeugte weiße Hornhautreflexbild geometrisch-optisch präzise kalkulierbar!

 

Dieses Hornhautreflexbild ist nicht nur Millers absolut zuverlässiger Bezugspunkt für jede Dezentration eines monochromen Empfindungsmaximums gegenüber dem des weißen Lichtes [8], sondern es weist auch den ophthalmometrischen Pol (Gullstrand, LeGrand) als den Ort aus, auf dem die reale Visierlinie senkrecht auf der Hornhautvorderfläche steht. Die reale Visierlinie ist als der Hauptstrahl des zentral abbildenden weißen Fixierstrahlenbündels zu verstehen.

 

Wenn sich der ophthalmometrische Pol durch das Hornhautreflexbild des zentral abgebildeten weißen Leuchtfixierpunktes auszeichnet und die reale Visierlinie durch eben diesen Ort geht, dann repräsentiert der ophthalmometrische Pol auch zuverlässig den optischen Augendrehpunkt Z¢, der sich ja nirgendwo anders als auf dieser beschriebenen Geraden befinden kann. Das Hornhautreflexbild des weißen Leuchtfixierpunktes ist somit im photopischen Sehen als verbindlich für die Zentrierung brechender Flächen zum Auge anzusehen!

 

Miller hat also mit ihrer Arbeit nachgewiesen, dass die Empfindungsmaxima von weißem und monochromem Licht erheblich voneinander abweichen können und damit auffällige Unterschiede in der retinalen Verarbeitung bestehen müssen. Dies hat Enoch (1958) klar verkannt.

 

Millers Arbeit ist in zweierlei Hinsicht höchst aufschlussreich:

 

1.      Sie widerlegt mit ihrem Experiment eindeutig Enochs Behauptung, zwischen weißem und monochromem Licht sei SC-relevant kein Unterschied von Bedeutung.

2.      Sie erbringt mit ihrem Versuchsaufbau und der Durchführung ihres Experimentes einen überzeugenden Beweis dafür, dass das Hornhautreflexbild des weißen Leuchtfixierpunktes auf der Achse liegt, die den zentral abgebildeten Objektpunkt mit seinem konjugierten Bildpunkt verbindet und diese Achse senkrecht auf der Hornhautvorderfläche steht. Damit ist die reale Visierlinie exakt beschrieben.

 

Literaturhinweise

 

[1]        Stiles, W.S. and Crawford, B.H.: The luminous efficiency of rays entering the eye at different points, Proc. Royal Soc. London, Vol.112-B, 1933, S.428-450

[2]        Stiles, W.S.: The luminous efficiency of monochromatic rays entering the eye at different points and a new colour effect, Proc. Royal Soc. London, Vol.123-B, 1937, S.90-118

[3]        Stiles, W.S.: The directional sensitivity of the retina and the spectral sensitivities of the rods and cones, Proc. Royal Soc. London, Vol.127-B, 1939, S.64-105

[4]        Enoch, J.M.: Summated response of the retina to light entering different parts of the pupil, Journal of the Optical Society of America, 48, 1958, S.392-405

[5]        Enoch, J.M. and Hope, G.M.: An analysis of retinal receptor orientation, IV, Investigative Ophthalmology, 11, December 1972, S.1017-1021

[6]        Diepes, Heinz: Zur Strahlungsgefährdung des Auges an ophthalmischen Untersuchungsgeräten, 46. Sonderdruck der WVAO, 1994, S.121-131, Punkte 4.1 und 4.2

[7]        3rd Meeting der Optical Society of America, Monterey ‘93

[8]        Miller, Norma.: The Changes in Stiles-Crawford effect with high luminance adapting fields, American Journal of Optometry, Bd.41, 1964, S.599-608

 

 

Anschrift des Autors:

 

Hans W. Riedl

Am Steinberg 28

91217 Hersbruck

 

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